„Ich bin doch nicht verrückt“

Der Depression das Stigma nehmen ist seit zwölf Jahren Ziel der Initiative „Gemeinsam gegen Depression“

Zehnjähriges Jubiläum, obwohl es die Initiative schon seit zwölf Jahren gibt? Das macht Corona möglich. Mit zwei Jahren Verspätung zwar, aber nicht weniger interessant und herzlich beging die Initiative „Gemeinsam gegen Depression“ Bayreuth jetzt ihr Gründungsfest.

Dazu hatten die Mitglieder einen hochkarätigen Referenten ins Boot geholt: Professor Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Depressionshilfe. Musikalisch untermalt wurde der Abend von Wolfgang Burkholz, ein ehemaliger Pfarrer der selbst Depressionserfahrung hat.

Zehn, pardon: zwölf Jahre, sind vergangen, seit sich die Initiative gegründet hatte – das Ziel ist gleich geblieben: Der Depression soll das Stigma genommen werden. Es geht darum niederschwellig zu vermitteln, was eine Depression ist und, vor allem, wie man Menschen helfen kann, die unter einer Depression leiden. Darauf verwies Professor Thomas Kallert in einem Grußwort zu Beginn der Veranstaltung. Kallert ist Leitender Ärztlicher Direktor der Gesundheitseinrichtungen des Bezirks Oberfranken und er weiß um die Stigmatisierung durch andere aber auch durch den Patienten selbst. Gibt doch keiner zu, dass er „verrückt“ ist…

Um das zu ändern, um zu zeigen, dass eine Depression eine schwere Erkrankung ist, die jeden treffen kann (die Zahlen zeigen es: Jeder fünfte Erwachsene ist im Laufe seines Lebens einmal von einer Depression betroffen), dafür arbeitet die Initiative. Unter anderem mit Vorträgen wie dem von Hegerl.

Der holte zunächst weit aus: Die Depression hat ihren Namen erst seit Anfang des vergangenen Jahrhunderts, vorher war von Melancholie die Rede, Hippokrates war es, der die Vier-Säfte-Lehre entwickelte und in erster Linie der Galle die Schuld an der Melancholie gab. Zu Luthers Zeit war Depression eine Todsünde, in der Zeit der Romantik versuchten vor allem künstlerische Menschen, den Zustand der Melancholie aktiv herzustellen… Die Sicht auf die Depression hat sich durch die Jahrhunderte stark verändert. Heute weiß man: Depression ist eine Krankheit. Die Ursache, sagt Hegerl, sei genetisch bedingt, eine Veranlagung. Es sind nicht die äußeren Umstände (Scheidung, Krankheit, Jobverlust) – all das durchleben Menschen, die die Veranlagung zur Depression nicht in sich tragen, als schwere Zeit. Doch Menschen, die zur Depression neigen, würden ihren Fokus in der Depression auf das Schlimme in ihrem Leben legen – und so oft glauben, das tragische Lebensereignis habe zur Erkrankung geführt. Negative Gedanken lassen sich dann nicht mehr abstellen. „Die Depression schaut sich in meinem Leben um und sucht das Schlechte und macht es groß.“ Das kann dann auch zu falschen Entscheidungen führen. Wenn es nicht der Job ist, der die Depression auslöst, sei es doch fatal, zu kündigen. 

Wer an einer Depression erkrankt merkt das an folgenden Symptomen:

  • Gedrückte Stimmung
  • Interessen- und Freudlosigkeit

Dazu können Antriebsmangel kommen, Ermüdbarkeit, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, mangelndes Selbstwertgefühl, Hoffnungslosigkeit. „Wenn man in die Depression rutscht“, so Hegerl, „steckt man einfach drin“.

Die gute Nachricht ist: Depression lässt sich gut behandeln. Sind organische Ursachen für die Symptome ausgeschlossen worden, lässt sich mit Medikamenten und Psychotherapie gegenwirken. Hegerls wichtigste Botschaft: „Haben Sie keine Angst vor Antidepressiva“, diese in seinen Augen wichtigste Behandlungsmöglichkeit führe weder zu einer Persönlichkeitsveränderung noch mache sie abhängig. Im besten Fall werde medikamentöse Behandlung mit einer Psychotherapie kombiniert. Dabei lernt der Patient falsche Verhaltensmuster abzustellen. Als weitere Möglichkeiten der Behandlung zeigte Hegerl Elektrokrampftherapie, körperliches Training, Schlafentzug, Lichttherapie auf. Von alternativen Heilmethoden riet Hegerl ab. Es gebe keine Studien, die eine Wirksamkeit nachweisen würden. Wovor Hegerl bei einer Depression auch dringend abrät, ist Urlaub. „Die Depression fährt nur mit.“ Zu viel und lange schlafen könne ebenfalls eine Depression verstärken. Hegerl rät, ein Schlaftagebuch zu führen: „Schreiben Sie auf, wie lange Sie geschlafen haben und wie dann Ihre Stimmung war.“ Es werde sich zeigen, Schlafentzug wirke antidepressiv.

Zu Beginn des Abends hatte Professor Manfred Wolfersdorf auf die vergangenen Jahre der Initiative „Gemeinsam gegen Depression“ zurückgeblickt, erinnerte an die unterschiedlichsten Herangehensweisen, sich dem Thema zu nähern. Dazu gehörten Theaterstücke, Kunstausstellungen, medizinische Vorträge, Kabarettabende, Filmgespräche, Gottesdienste.